Recht - Auto & Verkehr Informationsbrief Nr. 35

Wiederbeschaffungswert (130%)
Nachweis des Integritätsinteresses des Geschädigten

Liegen die geschätzten Reparaturkosten zzgl. Wertminderung im Rahmen von 130 % des Wiederbeschaffungswertes, sind die unfallbedingt erforderlichen Reparaturkosten grundsätzlich zu erstatten, wenn das Fahrzeug vollständig, sach- und fachgerecht instand gesetzt wurde.

Voraussetzung für die Erstattung ist, dass die Reparatur in einem Umfang durchgeführt worden ist, wie sie der Sachverständige in seinem Gutachten vorgegeben hat.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung der Reparatur in diesem Umfang liegt beim Geschädigten. Gelingt dem Geschädigten der Beweis nicht, hat er nur Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert).

Allein die vollständige und sach- und fachgerechte Reparatur reicht allerdings noch nicht aus, um im Rahmen der 130 % abrechnen zu können. Erforderlich ist vielmehr, dass der Geschädigte sein "besonderes Integritätsinteresse" nachweist. Dazu verweisen wir auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), der seine verbraucherfreundliche Rechtsprechung der letzten Jahre abgeändert hat:

1.     BGH-Urteil vom 23.05.2006 (DAR 2006, 441):

Die Reparaturkosten lagen im entschiedenen Fall unterhalb des Wiederbeschaffungswertes. Der Geschädigte verzichtete auf eine Reparatur. Vier Monate nach dem Unfall wurde das Fahrzeug verkauft. Der Geschädigte forderte die fiktiven Reparaturkosten.

Nach Ansicht des BGH kann der Geschädigte die fiktiven Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug des Restwertes ersetzt verlangen, wenn er das Fahrzeug ohne oder nach nur teilweiser Reparatur mindestens sechs Monate weiter nutzt.

2.     BGH-Urteil vom 13.11.2007 (DAR 2008, 79):

Die kalkulierten und tatsächlichen Reparaturkosten überstiegen im entschiedenen Fall den Wiederbeschaffungswert, jedoch nicht die 130 %-Grenze.
Es erfolgte eine sach- und fachgerechte Reparatur des Fahrzeuges nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens.
Das Fahrzeug wurde knapp vier Wochen nach erfolgter Reparatur veräußert. Der Kläger verlangte Schadenersatz auf der Basis der von dem Sachverständigen ermittelten Netto-Reparaturkosten.
Der so genannte Integritätszuschlag von 30 % ist nach Ansicht des BGH nur dann zu gewähren, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.

3.     BGH-Urteil vom 27.11.2007 (DAR 2008, 81):

Die kalkulierten und tatsächlichen Reparaturkosten überstiegen im vorliegenden Fall den Wiederbeschaffungswert, jedoch nicht die 130 %-Grenze.
Der Geschädigte reparierte das Fahrzeug fachgerecht und vollständig in Eigenregie. Die Reparatur ließ er sich durch einen Sachverständigen bestätigen. Das Fahrzeug wurde innerhalb von sechs Monaten nach dem Unfall weiterverkauft. Der Käufer hatte es bereits zwei Wochen nach dem Unfall besichtigt und Probe gefahren.
Auch hier verlangt der BGH eine 6-monatige Weiterbenutzung bei Abrechnung nach Eigenreparatur.
Der Geschädigte kann zum Ausgleich des Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt, Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert minus Restwert) auch bei vollständiger und fachgerechter Reparatur im Regelfall nur verlangen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt.

4.     BGH-Urteil vom 29.04.2008 (DAR 2008, 387):

Die Reparaturkosten lagen im entschiedenen Fall unterhalb des Wiederbeschaffungswertes. Der Geschädigte ließ das Fahrzeug kostengünstiger reparieren und veräußerte das Fahrzeug 22 Tage nach dem Unfall. Der Geschädigte forderte die fiktiven Reparaturkosten.
Nach Ansicht des BGH kann der Geschädigte die fiktiven Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ersetzt verlangen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt und zu diesem Zweck (teil-) reparieren lässt. Da er durch die Weiterveräußerung den Restwert realisiert hat, muss er sich diesen auch anrechnen lassen.

Wie Sie sehen, hat der BGH seine verbraucherfreundliche Rechtsprechung früherer Jahre damit aufgegeben.
Das besondere Integritätsinteresse des Geschädigten muss nun regelmäßig durch eine 6-monatige Weiternutzung des Fahrzeuges nachgewiesen werden.

Die Frage der Fälligkeit des Ersatzanspruches ist vom BGH noch nicht entschieden worden!
Es muss damit gerechnet werden, dass die Versicherer den Nachweis verlangen werden, dass der Geschädigte sein Fahrzeug zumindest sechs Monate nach dem Unfallgeschehen weiter genutzt hat. Die Zahlung der Differenz zwischen Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert minus Restwert) und tatsächlich angefallenen Reparaturkosten wird voraussichtlich bis zum Ablauf der 6-Monats-Frist verweigert werden.

Soweit der Geschädigte nicht in der Lage ist, die Reparaturkosten aufzubringen und zur Finanzierung einen Kredit aufnehmen muss, sollte die Versicherung gesondert darauf hingewiesen werden und zur entsprechenden Vorschusszahlung - mit Rückforderungsvereinbarung - aufgefordert werden; ansonsten besteht ein entsprechender Anspruch auf Schadenzinsen.

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